«Wer lange genug auf dem Holzweg ist, kehrt nicht mehr um». Über dieses Zitat von Bert Hellinger, Entwickler der Familienaufstellung, bin ich gerade gestolpert und es bringt mich zum Nachdenken. Je mehr wir unsere Meinung wiederholen und verfestigen, desto weniger Möglichkeiten bleiben uns, anderen offen zuzuhören. Und das zeigt sich in Beziehungen und wie mehr im Alltag. Doch wir sehnen uns danach «gehört zu werden» und uns weiter entwickeln zu können. Wie gut zu wissen, dass man auch «zuhören» lernen und «entwickeln» geschehen lassen kann.
Wenn Haltungen zu Fronten werden
Dazu eine kurze Geschichte. Ich war auf dem Weg zum Corona-Testzentrum als ich voller Freude einer Bekannten begegnete. Ich beendete das Gespräch und begründete es mit meinem Termin. Schon prasselten Fragen und Argumente zum Impfthema auf mich ein. Ich ertappte mich wie ich meine Haltung zu verteidigen begann. Je länger das Wortgefecht dauerte, desto weniger wollte ich weichen. Wir verabschiedeten uns mit «das muss jeder selbst wissen» und «ja, so ist es». Danach begann mein Hirn zu rattern. Was hatte ich da gerade erlebt? Wie fühlt sich das an? Hatten wir einander zugehört?
Was empfindet ein Raucher, auf den man dauernd einredet, er solle doch aufhören? Ich nahm in mir wahr, wie das massive auf mich einreden, die immerwährenden Appelle an Vernunft und Solidarität sich invasiv und grenzüberschreitend anfühlten. Ich war permanent damit beschäftigt gewesen, mich zu verteidigen. Mir wurde klar, dass ich «unter solchen Umständen» gar keinen Raum hatte nachzuspüren, was für mich stimmte, geschweige denn hinzuhören, was mein Gegenüber mir mit seiner Botschaft mitteilen wollte. Ich hatte mein Zentrum verlassen und war im Aussen mit «Kriegsspielzeug» unterwegs.
Gewinnen oder Verlieren
Meinungen und Haltungen können sich mit der Zeit und den gemachten Erfahrungen verändern. Doch je länger wir unsere Position verteidigen, desto weniger sind wir bereit die bekannten Pfade zu verlassen. So aus der Balance könnte sich ein Einlenken wie ein Verrat der eigenen Überzeugung und damit als Gesichtsverlust anfühlen. Wer will schon solche Gefühle? Mit Druck die eigene Position zu halten, da gibt es nur Opfer und Täter.
Oder Aussteigen durch nach innen gehen
Doch wie kreieren wir einen Raum, wo freie Wahl, Akzeptanz und Selbstverantwortung möglich ist? Durch den Weg nach Innen – zurück ins eigene Zentrum. Im Anerkennen, dass ich richtig bin und der andere auch. Jeder aus seiner Perspektive. Jeder von uns erschafft sich seine eigene Welt durch die Haltung und Denkweise, die er einnimmt und damit auch seine Gefühle. Und genau dafür wäre es gut die eigene Verantwortung zu übernehmen und sie nicht an andere zu delegieren. Sicherheit finden wir nicht bei anderen oder im Aussen. Alles was wir dort suchen und zu finden hoffen, birgt Unsicherheit, Angst und Enttäuschung. Wahre Sicherheit und Frieden liegen in uns.
Was hilft dabei? Mir hilft es, wenn ich mein Gegenüber nicht als persönlichen Angreifer sehe. So fällt es mir wesentlich leichter offenen Herzens und Ohren zuzuhören, ja hinzuhören, was er mitteilen möchte. Er sagt etwas über sich und nicht über mich. Es sind seine Weltsicht und seine Erfahrungen. Und wie sagte der Dalai Lama noch, «der inneren Abrüstung folgt die äussere Abrüstung». Auf diese Art und Weise sehe ich mein Gegenüber in einem anderen Licht und bleibe in meiner Mitte. Ich brauche nicht zu kämpfen. Ich spüre die für mich richtigen Impulse und lasse mich leiten. Und plötzlich bin ich überrascht wie Begegnungen sich verändern. Und alles andere ist genauso perfekt wie es passiert ist, weil ich immer daraus lernen kann!
Übrigens, ich glaube wir Menschen sind gar nicht so verschieden. Mein Gegenüber will sicher auch gehört und akzeptiert werden. Und wie ist das bei dir?